Am 13.6. 2014 waren wir in der offenen Schule Waldau in Kassel zum Schnuppertag. Hier einige unserer Eindrücke und Ideen, die wir auf Anhieb gut interessant oder besonders bemerkenswert fanden.
In der Schule haben die Jahrgänge und Lehrerjahrgangsteams eine sehr zentrale Rolle: Alle 6 Klassen eines Jahrgangs sind in einem eigenen Bereich untergebracht. Hier gibt es vor den Klassen einen größeren Bereich, der von allen Klassen für Freiarbeit oder Pausen genutzt werden kann. Direkt in dem Jahrgangsbereich befindet sich das Jahrgangsteam-Lehrerzimmer. Im offenen Bereich des Jahrgangs hingen Zettel mit den Klassenarbeiten für das restliche Schuljahr aus.
Diese Jahrgangslehrerteams begleiten die Klassen von der fünften bis zur zehnten Klasse und sind in sich sehr selbständig: Die Teams bestimmen selbständig, wer in welcher Klasse welches Fach unterrichtet, regeln innerhalb des Teams die Vertretung selbständig und beschließen in den regelmäßigen Team-Besprechungen (ca. alle zwei Wochen) sämtliche Regeln für ihre Schüler. Schön fand ich vor allem die familiäre Atmosphäre: Obwohl die Schule ziemlich riesig ist, sind die Lehrer in kleinen Teams (ca 12 Lehrer) in einem relativ geschlossenen Bereich im täglichen engen Kontakt.
In den Jahrgangsteams werden für das Schuljahr Jahrespläne erstellt und die Arbeit, eine Einheit auszuarbeiten auf die einzelnen Lehrer verteilt. So muss jeder für das Schuljahr nur ein bis zwei Themen ausarbeiten und kann sich dafür bei den anderen bedienen. In der Schule gibt es auch einen Austausch der bestehenden Materialien über die schulinterne Internetplatform.
Morgens fiel uns der sehr entspannte Unterrichtsbeginn auf: Die höheren Klassen beginnen um 7:45, während die kleineren erst um 8:45 starten. Während der Zeit ist zwar eine Frühaufsicht anwesend, diese konnte aber sehr entspannt im Lehrerzimmer sitzen, weil alle Schüler sich miteinander beschäftigten. Alle Klassen waren offen.
Der Unterricht geht dann bis viertel vor zehn, anschließend findet eine Frühstückspause statt. Der nächste Unterricht geht dann bis viertel nach zwölf und dann gehen ALLE Schüler in der Mittagspause essen. Danach findet noch Pflichtunterricht bis 14:30 statt. Anschließend gibt es noch viele freiwillige AGs.
Der Bereich vor den Klassen ist für selbständig arbeitende Schüler und sehr beliebt. Die Schüler müssen sich aber verdienen hier alleine arbeiten zu dürfen. Störende Schüler fliegen nicht raus, sondern müssen drin bleiben. Wer gut arbeitet, darf das draußen tun.
In der Schule gibt es ein schulweites und einheitliches Ruhe-zeichen. Außerdem gibt es die Regel, dass man im Gebäude nicht rennen darf, die auch sehr konsequent durchgesetzt wird: Wenn ein Schüler beim Rennen erwischt wird, muss er zurückgehen und den ganzen Weg in „Zeitlupe“ laufen.
Um Regeln und das sehr zivilisierte Verhalten einzuüben das wir beobachten konnten, wird vor allem in Klasse 5 viel Arbeit investiert, die sich aber in den nachfolgenden Jahrgängen sehr bemerkt macht: In den ersten Wochen sind viel mehr Lehrer in den Pausenaufsichten und achten konsequent z.B. auf die „nicht rennen“ Regel. Direkt zu Beginn von Klasse 5 wird eine Klassenfahrt gemacht (Idee: Wir wollen die Kinder gleich als ganze Person kennenlernen). Die Sozialpädagogen fahren mit. Es werden viele Strategiespiele geübt, bei denen sich die Schüler untereinander absprechen müssen. Lehrer und Sozialpädagogen schauen hierbei sehr intensiv auf das Schülerverhalten. Es folgen in den nächsten Wochen motorische Tests und eine weitere Woche gehen die Sozialpädagogen mit in den Unterricht und beobachten jeden einzelnen Schüler. In einer anschließenden pädagogischen Konferenz wird intensiv über jeden einzelnen Schüler gesprochen, welche Hilfen er vermutlich braucht, welche Probleme er hat und welche Fördermaßnahmen greifen können. Danach machen die Klassenlehrer bei jedem einzelnen Schüler Hausbesuche. Obwohl dies tierisch viel Arbeit macht, wurde von den Lehrer dort nie gefordert diese intensive Anfangsphase zu ändern, da sie davon so viel profitieren konnten. In Klasse 5 werden den Lehrern Entlastungsstunden gegeben, da hier so viel Mehrarbeit zu leisten ist.
Es finden pro Woche dort mehrere Stunden „freies Lernen“ beim Klassenlehrer statt. Die Stunden werden von den Hauptfächern „gespendet“. Da gab es Anfangs viel Protest gegen und Befürchtungen, die Schüler könnten an den Anschlussschulen nicht mehr mitkommen, da bewusst ganze Einheiten gekürzt wurden. Die Ergebnisse in den weiterführenden Schulen fielen aber nicht ab und in Betrieben wurden die selbständigeren Schüler dieser Schule bevorzugt genommen. Zitat eines ehemaligen Schülers: „Die vom Gymnasium wissen manchmal mehr… aber wir können mehr…“ In den Stunden lernen die Schüler zu Themen zu recherchieren, sie zu präsentieren und sich immer selbständiger mit etwas zu beschäftigen und zu lernen. Zunächst waren zwei Stunden im Plan vorgesehen, jetzt probieren sie es mit sechs Stunden.
Das Mittagessenkonzept der Schule fand ich echt beeindruckend. Nachdem sie immer Probleme mit zurückgehenden Essensbestellungen hatten, führten sie folgendes System ein:
Die Schüler zahlen nicht mehr pro Essen sondern einen ABO-Betrag von 42 Euro pro Monat. Dafür können sie jeden Tag in den Essensbereich und sich auswählen, was sie wollen. Das Essen wird in Buffetform angeboten, so dass es nicht nötig ist, morgens zu entscheiden, was man essen will. Auch clever: die Schule hat ZWEI Caterer eingestellt die abhängig davon bezahlt werden, wie viel Essen von ihnen abgenommen wird, damit der Konkurrenzdruck unter den beiden sie anspornt besseres Essen anzubieten und nicht die Preise hochzusetzen. Das Essen war echt lecker: Es gab ein Gemüse-Wok Angebot, kleine Pizza Snacks, Wurstgulasch mit Kartoffeln eine Salat Bar (dies alles vom Bio-Caterer) und Nudeln mit verschiedenen Saucen. Nach einer Testphase, in der sich angelockt vom guten Essen immer mehr Schüler freiwillig anmeldeten hat die Schule nun auf Wunsch der Eltern das Essen VERBINDLICH für alle 900 Schüler gemacht. Das Geld, was durch die Pauschale eingesammelt wird, reicht auch noch, um in den Pausen kostenlos Obst und Milchmixgetränke an alle Schüler die wollen auszugeben.
Insgesamt ist mir aufgefallen, dass die Lehrer dort ziemlich entspannt wirkten und nicht in wahnsinnig viel Arbeit und Stress ertranken. Der Schulleiter z.B. kam gegen zehn vor Acht in der Schule an und saß sogar ziemlich lange entspannt mit uns am Mittagstisch. Der Konrektor, der uns dort herumführte konnte das bestätigen: Es wäre zwar durch die Teambesprechungen mehr Anwesenheitspflicht in der Schule aber dafür wesentlich weniger Vorbereitungszeit und allgemeiner Stress.
Es gäbe noch so viel mehr über die Schule zu berichten, und es lohnt sich sicher sie auch noch mehrfach zu besuchen, aber für einen ersten Hospitationsbericht schließe ich hier fürs erste.
14.6.2014 Oliver Brunotte