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THEMA: Hospitationsbericht IGS Göttingen Geismar

Hospitationsbericht IGS Göttingen Geismar 9 Jahre 10 Monate her #9

Hospitation an der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule in Göttingen am 15.4.2015 
Am Mittwoch dem 15.4. waren wir zu dritt in der IGS Göttingen um uns dort eine gut funktionierende und seit vielen Jahren etablierte IGS einmal genauer anzuschauen und frische Ideen für eine IGS in Northeim zu sammeln. Hier ein kurzer Einblick in das, was wir dort gesehen haben.

Was mich an der Schule gleich zu Beginn schon beeindruckt hat, war die Offenheit und Entspanntheit, mit der hier unterrichtet und gelernt wurde. Bereits bei unserer Hospitation in der IGS Kassel war uns ja schon aufgefallen, wie selbständig die Schüler dort lernten und hier bot sich uns wieder dasselbe Bild: Fast in keiner Klasse, die wir besuchten, sahen wir den „klassischen Unterricht“ bei dem der Lehrer vorne steht und etwas erklärt. Stattdessen sahen wir viele Schüler, die in ihren Kleingruppen an einzelnen Aufgaben arbeiteten und sich gegenseitig halfen. 

Der Schulleiter Wolfgang Vogelsaenger erklärte uns, dass diese Tischgruppen in der IGS Göttingen eine sehr zentrale Rolle spielten. Die Schüler sind für ein halbes bis Dreivierteljahr fest in ihre Sechser-Tischgruppen eingeteilt, die wiederum ganz bewusst aus Jungen und Mädchen, schwachen bis starken Schülern gemischt sind. Wichtig bei der Zusammensetzung der Gruppe ist, dass diese ein arbeitsfähiges Team bildet. Aufgaben, die in die Tischgruppe gegeben werden, sind so gestellt, dass sie für jeden eine Herausforderung stellen, also sowohl leichtere als auch schwierigere Tätigkeiten beinhalten, so dass sowohl die schwächsten als auch die stärksten gefordert werden. Besonders wichtig sei dabei, dass eine Aufgabe nur dann als gelöst gilt, wenn die gesamte Tischgruppe das Ergebnis präsentieren kann, das bedeutet, dass die stärkeren Schüler oft den anderen helfen müssen.  „Am meisten lernt man, wenn man es jemand anderem erklärt“, meint der Schulleiter. Den Erfolg der Methode sieht er durch die vielen sehr guten Abschlüsse bestätigt: „Wenn die zentralen Abi-Prüfungen kommen, entschuldige ich mich immer bei unseren Schülern, weil ihnen einige Fragen viel zu leicht vorkommen…“. 

Was mir bei unserer Hospitation auch auffiel war die Tatsache, dass die Klassen nicht überfüllt wirken, und das obwohl in jeder einzelnen Klasse immer 30 Schüler waren. Hier wurde viel durch die Nutzung des „Clusters“ entzerrt. Wie auch bei der Schule, die wir in Kassel angeschaut haben, wird viel der Tischgruppenarbeit / Freiarbeit / Übungsarbeit  in dem zentralen Raum erledigt, an den alle sechs Klassen  eines Jahrgangs angrenzen. Dieser ist nicht nur groß, sondern auch sehr gemütlich eingerichtet und mit ausreichend Tischen und Sitzmöglichkeiten ausgestattet. Herumgetobe oder laute Stimmen waren hier trotzdem nicht zu hören, was sicher am Anfang der fünften Klassen einiges an Übung erfordert.  Jeder Jahrgang von 5 bis 10 hat seinen eigenen dieser „Cluster“ und gestaltet ihn nach den eigenen Vorstellungen. Im Gegensatz zur Schule in Kassel, wo die Schüler alle zwei Jahre ihr Jahrgangshaus komplett wechselten bleiben hier die Schüler ganze 6 Jahre in ihrem Bereich, was sicher ein starkes Gefühl von „zuhause“  in der Schule mit sich bringt. Übrigens grenzen an diesen Raum nicht nur die Klassen, sondern auch ein Lehrerzimmer für den Jahrgang was mir wegen der Nähe zu den Schülern sehr gut gefiel. 

Und auch in dieser Schule sind die Jahrgangsteams bei den Lehrer ein sehr wichtiger Bestandteil: Pro Schuljahrgang mit 6 Klassen sind etwa 12-15 Lehrer mit einem Großteil ihrer Stunden fest in einem Jahrgangsteam und bleiben, wie auch die Schüler für 6 Jahre in dieser Konstellation zusammen (interessantes Detail: Wie auch die Schüler sitzen die Lehrer in ihrem Lehrerzimmer auch an sechser Gruppentischen). Mit einem kleinen Teil ihrer Stunden sind die Lehrer auch außerhalb ihres Jahrgangs eingesetzt, so dass die Lehrer der neuen Fünftklässler z.B. auch ein wenig bei den Zehntklässlern unterrichten und so nicht aus den Augen verlieren, wo die Reise hingehen soll.  Die Lehrer des Jahrgangsteams sind hierbei sehr selbständig: Der Stundenplan wird den Teams als ein Vorschlag gegeben, aber sowohl Stundenverteilung als auch Pausenaufsichten können völlig frei umgestellt werden. Auch die Vertretung regeln die Lehrer des Teams innerhalb ihrer Gruppe selbst. Die Themen, die in dem Schuljahr gelernt werden sollen, werden vor Schuljahresbeginn gemeinsam besprochen und im Idealfall in Teamarbeit vorbereitet. Wichtig ist dabei die „Staffelübergabe“ bei der das Vorjahresteam mit der nächsten Gruppe bespricht, welche Themen sie wie durchgenommen hat, Materialien, Tipps und Ideen weitergibt. 

Dass die Lehrer größtenteils in nur einem Jahrgang eingesetzt sind, bringt viele Vorteile mit sich. Hierdurch und durch die lange gemeinsame Zeit entsteht eine viel größere Bindung zwischen Lehrern und Schülern, wodurch viele Disziplinprobleme, Machtkämpfe oder das immer beliebte „Regeln austesten“ kaum noch vorkommen. Es kann ein wesentlich tieferes Vertrauensverhältnis entstehen. Und das macht sich dann auch positiv beim Lernen bemerkbar. Für die Lehrer, die hier wesentlich weniger Schüler unterrichten, als wenn sie in vielen verschiedenen Jahrgängen eingesetzt werden, bringt dies den Vorteil, dass sie jeden einzelnen ihrer Schüler viel besser kennen und einzuschätzen lernen. Als weiteren wichtigen Punkt nennt Vogelsaenger das Gefühl, nach Klasse 10 „seine eigene Arbeit zu sehen“: Wenn die Schüler abgehen wissen die Lehrer, dass sie ihnen geholfen haben an diesen Punkt zu kommen, sehen das Resultat ihrer Mühen, was in unserem jetzigen Schulsystem, in dem wir so häufig die Klassen wechseln, leider nur selten möglich ist. 

Interessant fand ich in der Schule außerdem, dass es keine festen Pausenzeiten gab: Die Klingel wurde komplett abgeschaltet, die Klassen machen ihre Pausen dann, wenn es gerade gut passt, weil ein Thema beendet wurde oder einfach eine Pause nötig ist. Möglich wird dies dadurch, dass die Lehrer viel mehr als bei uns in Großblöcken in den Klassen sind. So können etwa sie frei einteilen, dass sie dreißig Minuten Mathe machen, dann nach einer kurzen Pause eine Stunde lang Englisch und dann nach einer größeren Pause z.B. eine Klassenlehrerstunde. Und da in dem kleinen Jahrgangsteams vieles sehr unkompliziert und auf kleinem Dienstweg geht, können auch die Wechsel zwischen den Lehrer recht frei gemacht werden, so macht der eine etwas länger in der einen und dafür kürzer in der anderen Klasse unterrichtet, gerade so, wie es eben an dem Tag sinnvoll ist. 

Einige wichtige Details noch zur Unterrichtsorganisation: Entgegen dem Erlass für die IGS, in dem vorgesehen ist, dass ab Klasse 7 schon in mehreren Fächern A, B und C Kurse eingerichtet werden, wird in dieser Schule von Klasse 5 bis 10 gemeinsam gelernt (in den Tischgruppen aber durchaus auf unterschiedlichsten Niveaus).  „Ich kann doch nicht den Kindern in der fünften und sechsten Klasse beibringen, dass sie als Gruppe mit ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen gut zusammenarbeiten sollen und dann ab Klasse 7 wieder in Schubladen sortieren!“ meint der Schulleiter. Mit einem Antrag an die Landesschulbehörde ist es möglich, auch in Klasse 7 und 8 noch im Klassenverband zu unterrichten. Ab Klasse 9 muss dann aber doch das Kurssystem eingeführt werden … „aber wir machen das trotzdem nicht…! Haben es sogar genehmigt bekommen. Es ist wichtig, die Klasse so lange wie möglich zusammenzuhalten.“ Naja, der Erfolg der besten Schule Deutschlands gibt ihm ja recht…  Trotzdem eine interessante Frage, wie wir in unserer IGS in Northeim mit dem Thema Differenzierung und Kurseinteilung umgehen sollten.

Zensuren können in der IGS gegeben werden, müssen aber nicht. An der IGS Göttingen gibt es Zensuren erst ab Jahrgang 9 (ab dann sind sie vorgeschrieben), vorher werden sehr individuelle und persönliche Lernentwicklungsberichte geschrieben. Es gibt hier immer einen Stammgruppenteil, einen Tischgruppenteil einen individuellen Teil für den jeweiligen Schüler und Ziele für das nächste Schuljahr. Schön fand ich, dass der Entwurf des Lernentwicklungsberichts den Eltern vor den Zeugnissen zugeschickt wird und auf einem letzten Elternabend mit ihnen und dem Schüler besprochen und angepasst wird: So können die Schüler und Eltern z.B. beim festlegen der Ziele selbst mit Einfluss nehmen. Noch bevor der Lehrer seinen Bericht schreibt, muss übrigens der Schüler selbst einen Lernentwicklungsbericht schreiben, auf den der Lehrer dann auch eingeht. Das macht natürlich eine Menge Arbeit, aber dafür kommt auch etwas wesentlich aussagekräftigeres als z.B eine 3+ heraus und führt auch zu viel mehr Aktzeptanz der Zeugnisse bei Schülern und Eltern. 

Tests werden in der Schule trotzdem geschrieben, aber eben ohne Noten. Stattdessen wird an den Test eine Kompetenzrückmeldung angehängt, in der z.B steht, dass der Leseteil in Englisch schon sehr gut klappt, dass aber das Schreiben noch nicht ganz klappt und die größten Probleme bei der Zeitform „Past Tense“ liegen. An diesen Kompetenzrückmeldungen, die wie auch die Tests in einem Lernordner im Klassenraum gesammelt werden, orientieren sich die Lehrer beim Schreiben der LEBs. 
Die Praxis der Elternabende hat mich auch noch sehr erstaunt, denn diese finden in den Tischgruppen statt. So treffen sich dann immer 6 Eltern mit dem Lehrer bei einem der Schüler zuhause. Der Gastgeber bereitet das Treffen vor und bewirtet alle. Und jeweils ein Schüler aus der Tischgruppe präsentiert, was in den letzten Monaten in der Klasse so gelernt und getan wurde. Dass die Eltern an den Tischgruppenabenden teilnehmen, müssen sie schon bei der Anmeldung des Kindes an die Schule schriftlich vereinbaren. Auch dies klingt natürlich erstmal nach viel Arbeit und vielen Abenden bei Eltern, führt aber zu einem sehr engen Kontakt mit den Eltern, was sich auch intensiv auf das Verhalten der Schüler auswirkt. Die wissen schließlich, dass Lehrer und Eltern sich ganz regelmäßig austauschen und an einem Strang ziehen. 

Für uns war auch sehr wertvoll, dass wir den didaktischen Leiter der Schule, Herrn Lars Humrich kennenlernen durften. Der konnte uns nicht nur viel zur IGS Göttingen erzählen, sondern auch zu der „Neuen IGS“ die er gerade mitaufbaut. Als Leiter der Planungsgruppe hatte er viele wichtige Tipps für uns und bot uns an, uns beim Aufbau einer IGS in Northeim bei Fragen gerne zur Seite zu stehen. Das halte ich für ein tolles Angebot, besonders da diese Schule schon in der konkreten Planungsphase steckt, in die wir erst nach Elternbefragung und Kreistagsbeschluss, also frühestens Anfang nächsten Jahres eintreten werden.  Und nebenbei noch ein ganz wichtiger Termin: An „seiner“ IGS wird am Samstag dem 25.4. ein Tag der offenen Tür stattfinden. Ich bin sicher, dass wir auch dort wieder viele gute Ideen sehen können. Wer geht diesmal hin…?

Ich habe nun so viel geschrieben und könnte sicher noch eine ganze Menge mehr über das Konzept der IGS Göttingen schreiben, aber erstens kommen jetzt gleich meine eigenen Kinder nach Hause und zweitens bin ich fest überzeugt, dass man generell niemanden zumuten darf mehr als drei Seiten Hospitationsbericht zu lesen. 

Insgesamt war ich sehr begeistert von der Schule und denke, dass wir viele gute Anregungen mitnehmen konnten und bei unseren nächsten Sitzungen viel Gesprächsstoff haben werden. Ich denke, dass wir noch möglichst viele weitere gut funktionierende IGSen besuchen sollten, um noch mehr unterschiedliche Modelle kennen zu lernen, an denen wir uns bei der Diskussion über unsere eigene IGS Northeim orientieren können und sie zu einer gut funktionierenden, starken Schule für alle aufzubauen. 








19.4.2015    Oliver Brunotte 
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